Jana Mikolaskova, Predigt in Herlikovice 5.7.2015
Txt:„…Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh. 8, 31b-32)
In diesen Tagen gedenken wir des Lebens, Werkes und des Todes von Meister Jan Hus. Seit seinem Tod an dem Scheiterhaufen in Konstanz sind es morgen 600 Jahre. Seinem Gedenken möchte ich die heutige Predigt widmen und zwar auf eine ganz persönliche Art. Ich möchte mit Ihnen teilen, was M.J.H. für mich bedeutet, genauer gesagt, wozu mich seine Gestalt, seine Haltung inspiriert oder ermutigt haben in solchen Lebenssituationen, die auf eine grundsätzliche Art mein Leben beeinflusst haben Ich erlaube mir darüber zu reden, weil ich überzeugt bin, dass es sich dabei nicht nur um mich persönlich handelt, meine Entscheidungen, meine Angelegenheiten, sondern um Situationen vor die – vielleicht auf eine andere Art – jeder gestellt werden kann.
Mein Predigttext oder eine Ueberschrift über diese Predigt sind Jesusworte aus dem Joh.ev. 8.Kp. Verse 31 u.32:
„…Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh. 8, 31b-32)
Bis Juli vorletztes Jahres war ich Pfarrerin der ev. ref. Landeskirche in der Schweiz, die letzten 22 Jahre in Zürich. Doch Theologie habe ich studiert und ordiniert wurde ich in Prag.Im Frühling dieses Jahres hat die zürcherische evangelische Kirche eine grosse Ausstellung zum 600 jährigen Todesjahr des J. Hus veranstaltet. Zu erwähnen wäre, dass man in der Schweiz weder in der Gesellschaft noch in der Kirche viel über Jan Hus weiss; selbst unter den meisten Theologen ist nicht viel mehr als sein Name bekannt. Deshalb war diese Ausstellung eine grosse Tat, die vor allem einem meiner Zürcher Kollegen von der Nachbargemeinde zu verdanken war, der mit seinen Konfirmanden regelmässig Prag besucht. Offensichtlicht braucht eines persönlichen Engagement und konkrete Begegnungen von Menschen – wie diese in Herlikovice – damit etwas wertvolles in Bewegung gesetzt wird. Mein Mann und ich wurden zu der Eröffnung u. Abschluss der Ausstellung eingeladen.
Im Rahmen der Ausstellung fanden einige Vorträge über M.J.H. u. die Kirche in seiner Zeit statt und zwar aus der Sicht der Reformierten und der Katholiken. Ueber die reformierte Seite berichtete emeritierter Prof. für Kirchengeschichte an der Zürcher Universität Prof. Emidio Campi, der sich als ein Schüler des bekannten und ausgezeichneten tschechischen Kirchenhistorikers Amedeo Molnar vorgestellt hat. Seinen Vortrag über Hus begann Prof. Campi mit einer Erinnerung an seinen Besuch in einer Vorlesung des Prof. Molnars an der theologischen Fakultät in Prag im Jahre 1977, in der Zeit der sog. Normalisierung nach dem Ende des Prager Frühlings. Da ich auch in dieser Zeit in Prag Theologie studierte, war ich vielleicht sogar mit dabei.
“Treuer Christ, suche die Wahrheit, höre die Wahrheit, lerne die Wahrheit, liebe die Wahrheit, sage die Wahrheit, halte die Wahrheit, verteidige die Wahrheit bis zum Tod; denn die Wahrheit wird dich befreien”.
Diese Worte gelten auch in unserer Zeit, sollte Prof. Molnar, beifügen.Es waren sehr bekannte Worte. Wir, Studenten, haben sie gekannt. Das “Problem” war darin, dass sie einige von uns, ernst genommen haben und danach auch zu handeln versuchten. Das war eben auch mein Fall, aber dazu komme ich später.
Wenn mich jemand fragen würde, was mir Jan Hus, oder Magister – Meister Jan Hus bedeutet, würde ich sagen: Für mich ist er ein Stück meiner eigenen Identität – nicht der Nationalidentität, sondern meiner Identität als Mensch. Das war nicht immer so.
Seinen Namen kannte ich bereits als Kind. Im Studierzimmer meines Vaters – der auch Pfarrer war – Pfarrer der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder, die sich eben als Erbin der husitischen Reformation versteht – hing ein Bild des tschechischen Malers F. Brozik mit dem Titel “Jan Hus vor dem Konzil zu Konstanz“.
Meine Eltern sprachen stets mit Ehrfurcht von ihm. An einer der drei Pfarrstellen meines Vaters wohnten wir an der Husova – Strasse und unweit vom Pfarrhaus in einem Park, war ein Jan Hus – Denkmal, an dem mein Vater jeweils am 6.Juli (das ist der Todestag von Hus) am Abend eine kleine Andacht hielt, ein von Jan Hus geschriebenes Lied wurde vom Gesangbuch gesungen und Blumen hingelegt.
Im Konfirmandenunterricht konnte mein Vater immer am spannendsten über die Kirchengeschichte erzählen – z.B. über die Verfolgung der ersten Christen unter den Römern und über die husitische Reformation. Zur Auffrischung erzählte er uns z.B. wie die Kreuzritter, die nach der Verbrennung von Jan Hus zur Verdrängung der tschechischen husitischen Ketzerei von der Kirche nach Tschechien geschickt wurden …starke, gut bezahlte Söldner vor einem Heer einfach bewaffneten aber überzeugten Freiwilligen flohen, nur schon als sie den mächtigen Choral der Hussiten hörten: “Wenn ihr Gottes Kämpfer seid, bittet Gott um Hilfe und hofft auf ihn…“. Oder wie die husitischen Frauen mal zum Sieg beigetragen haben, indem sie in einer sumpfigen Gegend ihre Schleier in den Schilf gelegt haben und die Rosse der Kreuzritter haben sich darin verwickelt und kamen nicht vorwärts. Solche Geschichten – selbst wenn es nur Legenden wären – sind geblieben.
Die älteren unter Ihnen erinnern sich sicher daran, dass wir auch in der Schule des kommunistischen Regimes über J.H. hörten. Natürlich im Sinne der offiziellen Ideologie –Jan Hus als Sozialreformer, Kämpfer gegen die reiche, verdorbene Kirche, die auf Kosten des Volkes lebte und es ausbeutete u.s.w. Dies alles war um mich herum, doch es berührte mich noch nicht persönlich.
Als der Prager Frühling kam – ich war damals im 1968 gerade 17- sind wir – damalige junge Menschen – wie aufgewacht, begannen die Zusammenhänge neu verstehen und fingen an an den Sozialismus mit dem „menschlichem Antlitz“ zu glauben. Und als der Einmarsch der Armeen des sog. Warschauer Paktes am 21. August 1968 den Prager Frühling drastisch beendete und die Zeit der sog. Normalisierung - der Rückkehr des totalitären kommunistischen Regimes – begann, waren wir bereit zu kämpfen, protestieren.Mein Protest bestand unter anderem darin, dass ich mich zum Theologiestudium angemeldet habe.
Im Prag bin ich Bohdan Mikolasek – auch einem Pfarrersohn – begegnet, den ich schon von früher kannte. Er gehörte in den 70-80 Jahren in Tschechien zu den bekannten Liedermachern – wie Vladimir Merta, Jarda Hutka, Petr Lutka u.a. Als wir seit kurzer Zeit befreundet waren, wurde er von einem meiner Kollegen eingeladen bei uns im theologischen Seminar an einem Musikabend seine Lieder zu singen. Es war im Januar 1972, in den Tagen, in denen sich im Jahre 1969 aus Protest gegen den russischen Einmarsch ein Philosophie Student Jan Palach auf dem Wenzelsplatz in Prag verbrannt hat. Mein – damals Freund – hat darüber ein Lied geschrieben, das die stille Demonstration nach Palachs Tod beschrieben hat und hat es an jenem Abend gesungen. Dies wurde sofort der Geheimpolizei gemeldet, es kamen Verhöre, er hat sofort Auftrittsverbot bekommen u. es wurde ihm mit Gefängnis gedroht. Ich wurde als seine Freundin auch verhört und wurde zur Strafe aus dem Studium ausgeschlossen. Ich hätte mich retten können, wenn ich mich schriftlich von meinem Freund und seinem Lied distanzieren würde. Das verlangte die Leitung der Theologischen Fakultät von mir – die gleichen Professoren uns die Liebe zur Wahrheit lehrten: “Treuer Christ, suche die Wahrheit, höre die Wahrheit, lerne die Wahrheit, liebe die Wahrheit, sage die Wahrheit, halte die Wahrheit, verteidige die Wahrheit bis zum Tod; denn die Wahrheit wird dich befreien.“ Ich entschied mich für die Wahrheit, habe die angebotene Rettung abgelehnt und wurde bestraft – vom Studium ausgeschlossen und als Putzfrau in einem Krankenhaus gearbeitet. Schlussendlich habe ich doch zum Ende studiert,doch als ich dann in den kirchlichen Dienst als Pfarrerin gehen wollte, wurde mir mitgeteilt, dass ich vom Staat keine Zustimmung dazu bekomme. Es folgten zehn Jahre des Wartens und Hoffens auf eine Veränderung, die nicht kam u. schlussendlich unsere Emigration in die Schweiz.
Und jetzt wieder zurück zu Jan Hus.Sie werden vielleicht aus dem Mund derer, die sein Tod rechtfertigen wollen, hören, dass J.H. ein intoleranter Fundamentalist war, ein Fanatiker mit der Sehnsucht nach Martyrium, dass ihm das ehrenhafte Konzil doch einige mal Gelegenheit bot, sich vom Tode zu retten, man bot ihm sog. „goldene Brücken“ an, sogar die Flucht aus dem Kerker, doch er – wie er eingebildet und stur war, nutzte dies alles nicht, und deshalb ist er selber an seinem Tod schuld. Doch es wäre ein Irrtum zu glauben, es ging dem Konzil um die Rettungder Person von Jan Hus. Sein Widerruf sollte ein Schlag und ein Ende der Reformbewegung in Tschechien werden, die sich bereits verbreitet hat. Das war das Ziel. Für J.H. gab es aber nur ein Kriterium – die Wahrheit. Ehrfurcht vor ihr, Glaube in sie. Grundlage seiner Kritik der damaligen katastrophalen Verhältnisse in der Kirche war seine Berufung auf die Bibel, auf das Evangelium J.Christi. Dies war die Wahrheit, von der er sprach. Die Wahrheit, die aus Jesusworten aus dem Joh.ev. Kp. 8,31-32 erklingt:
„…Wenn ihr in meinen Worten bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.”
J.H. war kein Fanatiker, kein rechthaberischer Starrkopf, er war ein guter Christ, ein gebildeter Theologe, guter Katholik, es ging ihm nicht um eine neue Kirche, sondern um eine schöne Kirche, ihm ging es nicht um sein persönliches Heil, sondern um die Menschen um ihn herum, die in einer Zeit voll Chaos und Widerspruch lebten. Es ging ihm darum, ihnen eine Orientierung zu geben, einen Weg anbieten, den man gehen kann, es ging ihm um die Kirche als Gemeinschaft der Jünger von Jesus, eine Gemeinschaft derer Haupt J.Christus ist. Seine Predigten waren nicht nur schöne Worte, sein ganzes Leben war gelebte Spiritualität ist u. Ethik in der Bibel gegründet.
Dieser Akzent an die Bibel, das Bibelstudium war dazumal weder an den Universitäten – beim Studium der Theologie – noch in den Klosterschulen üblich und Hus, obwohl er ein Akademiker war, predigte so – in der Betlehems Kapelle in Prag u. später, als er Prag verlassen musste, unter freiem Himmel – dass ihn einfache Menschen verstanden haben und nicht nur, weil er auf tschechisch predigte, sondern weil die Menschen aus seinen Predigten Lust und Mut bekamen nach dem Evangelium zu leben, Christus nachfolgen, die Freude seiner Jünger erlebten. Das war doch in dieser Zeit voll Verwirrung etwas wunderbares. Darum kamen die Menschen in Scharren, um ihn zu hören, darum hatten sie Mut den verkehrten kirchlichen Praktiken Widerstand leisten z.B. dem Ablassverkauf.„…Wenn ihr in meinen Worten bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Ich stelle mir vor – wenn ein solcher Hus heute unter uns auftauchen würde, in politisch zerstrittenen Tschechien, ständig mit neuen Korruption Skandalen und Affären geschüttelt, würden die Menschen mit ihm wieder gehen, weil die Tschechen eine besondere Antenne dafür haben, weil sie fähig sind, sich trotz so vielen Enttäuschungen begeistern zu lassen, weil sie an Ideale glauben und an den Sieg des Guten über das Böse. Da ich über 30 Jahre im Ausland lebte u. vergleichen kann, weiss ich, wovon ich rede und bin in diesem Sinne stolz auf mein Land. Nur etwas mehr Ausdauer brauchte es, einen noch längeren Atem und vor allem einen Hus……
J.H. war nicht eitel, er war nicht selbstgefällig, er war jede Zeit bereit widerrufen, wenn ihm sein Irrtum aus der Bibel bewiesen wird, war aber nicht bereit zu widerrufen, was er nie gelehrt hat. Freiwillig ist er zum Konzil gegangen, sogar mit einem Schutzbrief des röm.- deutschen Königs Sigismund, er hoffte, er wird angehört als Akademiker, hoffte auf eine Disputation, wurde aber eingekerkert und als Ketzer verhört und verurteilt.
Sie werden vielleicht auch hören, dass er ganz korrekt nach dem damals geltenden Kirchenrecht verurteilt wurde. Für Hus war aber die Bibel der Massstab,mit dem er auch das Kirchenrecht mass. Das Kirchenkonzil zu Konstanz verurteilte J.H. zum Tod als Ketzer. Und dabei wollte es ein Reformkonzil sein, das das päpstliche Schisma (es gab dazumal drei Päpste – drei Oberhäupter der Kirche!) beseitigen wollte und ein rechtes kirchliches Leben erneuern. Mutige Worte habe ich vom Museumsleiter des J.Hus in Konstanz Thomas Engelsing gehört, der sagte: ”Hätte sich Hus mit seinen Ideen zur Reform der Kirche durchgesetzt, wäre das Konzil zu Konstanz echtes Reformkonzil geworden, die Reformation rund hundert Jahre später hätte sich erübrigt.”
Nach 31 Jahren in der Zürcher Kirche bin ich jetzt pensioniert mit der Möglichkeit wieder in Tschechien zu sein. Als mein Mann und ich während des letzten Jahres Bücher über J.H. gelesen haben, über seine Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Treue der erkannten Wahrheit, berührte es uns sehr, weil wir – in aller Demut und Ehrfurcht vor seiner Grösse – in seiner Geschichte mit Staunen gewisse Parallelen zu dem, was wir selbst erlebt haben – damals in der Zeit der Normalisierung in Tschechien im Zusammenhang mit den Strafen und Verboten, aber auch später auf eine andere Art in der „Freiheit“ der schweizer Kirche in Konfrontation mit menschlichem Neid und einem Manko an der „verrückten“ Begeisterungfähigkeit.
Zurück in Tschechien, schauen wir zurück, die Erinnerungen kommen und man fragt sich, ob die verschiedenen Entscheidungen und radikalen Schritte auch richtig waren ….
Die Gestalt von J.H. – eben seine Klarheit, sein lebendiger Glaube und Mut nach eigenem Gewissen zu handeln, in der Wahrheit leben, auch wenn es Folgen hat und viel kostet, auch wenn man von aussen betrachtet verliert, die Gestalt von J.H. gibt uns die Gewissheit, dass nichts davon vergeblich war. Und das gibt dem Leben „die Flügel“.
J.H. wurde für seine Haltung, seine Treue er erkannten Wahrheit verurteilt und als Ketzer verbrannt. Das bleibt ein in den Himmel schreiendes Verbrechen, das durch nichts gerechtfertigt werden kann und doch – anstelle, dass dies ein Abschreckungsbeispiel bleibt, eine Warnung, anstelle dass er in Vergessenheit geratet, sein Weg als ein Irrtum, als ein Weg, der falsch war, den man nicht gehen kann, betrachtet wird, verbeugen wir uns vor seiner Geschichte voll Ehrfurcht und auch Hoffnung und einer Sehnsucht, weil aus ihr uns eine Wahrheit entgegen strahlt, die wer der Nachfolge ist, die Wahrheit, die über die Dunkelheit strahlt und das Leben erfüllt, schön und frei macht.
„…Wenn ihr in meinen Worten bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.”
Darum: “Treuer Christ, suche die Wahrheit, höre die Wahrheit, lerne die Wahrheit, liebe die Wahrheit, sage die Wahrheit, halte die Wahrheit, verteidige die Wahrheit bis zum Tod; denn die Wahrheit wird dich befreien”. Amen